Kammersängerin Christa Ludwig ist mit 93 Jahren gestorben
Die Gustav Mahler Vereinigung trauert um weiteres ihrer Ehren-Mitglieder – Christa Ludwig ist am 24. April 2021 gestorben. Lesen Sie im Folgenden einen Nachruf der Vorstandsmitglieder der Mahler Vereinigung Peter Krause und Dr. Albrecht Schultze:
Christa Ludwig (*16. März 1928) starb am 24. April 2021 in der Nähe von Wien, wo sie zuletzt lebte, mit 93 Jahren.
Wir trauern um die uns sehr verbundene Künstlerin. Sie war Ehren-Mitglied unserer Gustav Mahler-Vereinigung e.V., Hamburg, und sie galt als eine der wichtigsten Interpretinnen des Lied-Schaffens Mahlers. Unvergesslich bleibt auch ihre ergreifende Interpretation des Abschieds in Mahlers Das Lied von der Erde.
Einmal hatten wir das Glück eines direkten Kontaktes. Das war 1991 bei der Mahler-Matinée: Die „Mahler-Matinée“ fand fast genau auf den Tag hundert Jahre nach dem Tag von Mahlers erstem Dirigat als Chefdirigent der Hamburger Oper am 30. März 1991 statt, unsere Vereinigung war neben dem Senat und der Staatsoper der Dritte im Bunde. Die Veranstaltung begann mit dem Widmungsakt bei der Enthüllung des Straßenschildes „Gustav-Mahler-Platz“. Der zweite Hamburger Bürgermeister Prof. Dr. Ingo von Münch würdigte in seiner Ansprache die Verdienste unserer Vereinigung um die Schaffung dieses Platzes, und aus einem Fenster des nah gelegenen Staatsopern-Verwaltungsgebäudes erklang die von einem Philharmoniker geblasene Melodie des Posthornsolos aus Mahlers Dritter Symphonie. Im Opernhaus sang dann die enthusiastisch gefeierte Christa Ludwig, von Charles Spencer am Flügel begleitet, Lieder von Mahler und empfing von uns das lebend-symbolische Zeichen unserer Vereinigung – eine rote Rose. Zur anschließenden Eröffnung der Ausstellung „Gustav Mahlers Hamburger Jahre 1891 - 1897“ (Kurator: Georg Borchardt) im Foyer der Oper sprach Prof. Dr. Peter Ruzicka. Bei der Matinée war Marina Mahler, die Enkelin Gustav Mahlers, zugegen.
Christa Ludwig sang mit allen Großen ihrer Zeit: mit den Pultgott-Antipoden Leonard Bernstein und Herbert von Karajan. Mit Otto Klemperer, Karl Böhm und Georg Solti. Es knisterte elektrisch, wenn die Ludwig auf der Bühne stand und die wichtigsten Dirigenten ihrer Zeit im Graben. Ein jeder hat die grandiose Mezzosopranistin auf seine Weise beeinflusst: Von Megamaestro Karajan habe sie die Schönheit der Phrasierung und den Klangsinn gelernt, von Böhm die Exaktheit. Leonard Bernstein aber, der überragende Geist, der ewig Suchende und der wegweisende Mahlerianer, der „Herrlichste von allen“, wie sie einmal sagte, habe sie in die Tiefen der Musik eingeführt.
Christa Ludwig war bis zuletzt eine wache, liebevoll kritische Beobachterin der Opernszene und enorm eloquente Gesprächspartnerin. Sie war eine der komplettesten und komplexesten Sängerinnen ihrer Zeit – und bleibt eine der größten Sängerinnen aller Zeiten. Eine Bombenstimme und eine riesige Persönlichkeit besaßen in den fünfzig Jahren ihrer Karriere durchaus viele Kolleginnen. Doch in ihrer selbstverständlichen Einheit aus Gesang und Darstellung prägte Christa Ludwig den Typus der denkenden Sängerin, als genau diese Eigenschaft von Regisseuren oder Intendanten noch keineswegs zwingend eingefordert wurde. Denn sie machte in den Proben den Mund auf, sie erforschte die von ihr zum Leben erweckten Figuren skrupulös, sie konnte beherzt und überzeugend „nein“ sagen, zumal dann, wenn die Dirigenten sie unbedingt ins dramatische Sopranfach drängen wollten, das sie zwar reizte und das zu ihrem Charakter gepasst, ihr freilich stimmliche Blessuren zugefügt hätte. Es gab Ausnahmen: Sie wechselte vom Mezzo-Oktavian zur Sopran-Marschallin in Der Rosenkavalier. Sie wagte die Fidelio-Leonore. Die absoluten Gipfel des Hochdramatischen aber erklomm sie nie, zu Isolde und Brünnhilde, die sie zwar komplett einstudierte, sagte die Ludwig dann dennoch „nein, danke“. Ihre lange Karriere gab der denkenden Sängerin Recht.
Ihr sinnlich-nobles, in Aufnahmen sofort wiedererkennbares Timbre reifte kontinuierlich, sie betrieb indes nie Raubbau an ihren von Natur aus reichen Gaben, denn sie sang mit den Zinsen, nicht mit dem Kapital ihrer Stimme, das sie auch in späteren Jahren noch zu einer grandiosen Liedsängerin machte. Sie gestaltete Gustav Mahler mit edler Schlichtheit und Franz Schubert – sie entdeckte Die Winterreise für Frauenstimmen – mit wunderbarer Innigkeit.